• WER WAR „Patañjali?“

  • yogena chittasya, padena vachan
    malam sharirasya cha vaidyakena |
    yo’pakarot tam pravaram muninam
    patanjalim pranjalir anato’smi ||
    abahu purushakaran
    shankhachakrasi dharinam |
    sahasra shirasam shvetan
    pranamami patanjalim ||
    aum

    Ich verneige mich vor dem Edelsten der Weisen, Patañjali -
    Der durch sein Werk über den Yoga den Weg wies zum
    Stillewerden des Geistes,
    Zur Klarheit der Rede durch sein Werk über die Grammatik
    Und zur Reinheit des Leibes durch sein Werk über die Heilkunst.
    Übersetzung nach B.K.S. Iyengar: Licht auf Pranayama, 3. Auflage 2004

    Patañjali war ein indischer Weiser, der, wir wissen es leider nicht genau, irgendwann zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert n. Chr. gelebt haben soll. Über seine Lebensumstände ist nichts bekannt, aber es ranken sich zahlreiche Legenden um ihn. So soll seine Mutter die Asketin Gonika sein, die als Einsiedlerin lebte und keinen Schüler fand. Als sie deshalb zum Sonnengott Surya betete, ihre Hände danach in Wasser tauchte und zum Himmel streckte, fiel ihr eine kleine Schlange in die Hände. Diese wurde zu einem Jungen, der sich vor ihr verneigte und um Aufnahme als Schüler bei ihr bat. Sie gab ihm den Namen Patañjali, da “pat” auf sanskrit “fallen, fliegen” und “anjali” “Hände in Bethaltung” bedeutet. Eine andere Legende besagt, er sei nicht Gonika, sondern dem Grammatiker Panini in die Hände gefallen. Der gilt als Inkarnation der Weltschlange Shesha. Aus diesem Grund wird Patañjali in der indischen Kunst als Mischwesen dargestellt, halb Schlange als Unterleib, der Oberkörper der eines Mannes, der die Hände in Gebetshaltung hat. Über seinem Kopf ist oft noch eine vierköpfige Schlange zu sehen.

    Wir kennen Patañjali als Autor des “Yogasutra” (Sanskrit: योगसूत्र yogasūtra n. „Yogaleitfaden“), das als zentraler Quelltext des Yoga gilt. Diese kurze Schrift behandelt das Kennenlernen des eigenen Geistes und die Entwicklung und Verfeinerung von Methoden diesen zu kontrollieren. Im Zentrum stehen die Überwindung von Leiden und die Erreichung von Selbstverwirklichung.

    Die Sutras bestehen aus vier Kapiteln (Padas). Sie heißen: Samadhi Pada (51 Sutras), Sadhana Pada (55 Sutras), Vibhuti Pada (56 Sutras) und Kaivalya Pada (34 Sutras). Sie behandeln die Kontemplation, die Praxis, die Eigenschaften und Kräfte, die aus Yoga wachsen können und die Erlangung der letztendlichen Freiheit. Patañjali beschreibt Yoga in den Sutras als Stillstand der Bewegungen im Bewusstsein, als das allmähliche Zur-Ruhe-Kommen derselben. Weiterhin sagt er, dass Yoga letztendlich Vereinigung oder Integration ist. Dies betrifft den eigenen Körper, die Sinnesorgane, den Geist, das Ich-Bewusstsein und den Verstand.

    Um zur letztendlichen Freiheit zu gelangen, gibt es laut Patañjali diese acht Stufen:

    Yama: Regeln für den Umgang mit anderen Menschen; also Normen für soziale Disziplin wie Gewaltlosigkeit und Wahrheitsliebe.
    Niyama: Regeln für den Umgang mit sich selbst; also Formen erstrebenswerter Selbstdisziplin wie Reinheit und Zufriedenheit.
    Asana: Yogastellungen, Disziplinierung des Körpers.
    Pranayama: Atemübungen, Disziplinierung des Atems.
    Pratyahara: Methoden zur bewussten Wahrnehmung, Disziplinierung der Sinne.
    Dharana: Konzentration
    Dhyana: Meditation
    Samadhi: Versenkung, Ekstase, mentale Transformation

    Patañjali zählt fünf Yamas auf: die Gewaltlosigkeit, die Wahrhaftigkeit, das Nicht-Stehlen und das Freisein von Habsucht, die Enthaltsamkeit bzw. die Kontrolle der sexuellen Lust und das Nichts-anhäufen-Wollen bzw. das Nicht-gewinnsüchtig sein.

    Zu den fünf Yamas gibt es auch fünf Niyamas, Patañjali nennt hier die äußere und innerliche Reinlichkeit, die Zufriedenheit, die Genügsamkeit bzw. den Eifer, das Studium der Schriften und des eigenen Selbst, die Ergebenheit eines Gottes, einer Gottheit gegenüber.

    An Hand des Sutras sieht man, dass sich Patañjali also tatsächlich mit Yoga als Wissenschaft des Geistes beschäftigt und “zwar als eine äußerst genaue und zeitlose Analyse der Funktionsweise” desselben. Yoga hat hier explizit nichts mit Spiritualität, wie wir sie heute verstehen, zu tun und ist auch kein religiöser Weg. Anna Trökes meint dazu in “Die kleine Yoga Philosphie”: “Das Wissen, das im Yoga Sutra dargelegt wird, ist so zeitlos und allgemeingültig für jeden Menschen in (fast) jeder Kultur, das es sich ein den meisten späteren Traditionen wiederfindet.” (Die kleine Yoga Philosophie, 1. Auflage, O.W. Barth Verlag, S.37)

    Wer sich mehr mit Patañjali beschäftigen möchte, kann hier fündig werden:

    B.K.S. Iyengar: Der Urquell des Yoga, O.W. Barth für 34,99 €

    Danke an Yoga85